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Skitour Täschhorn

 

Intro

Wie gut, dass der Mensch vergisst. So auch die Strapazen von Ski- und Bergtouren, die grösser als der Verstand waren. Tagestouren von 4000ern oder hohen 3000ern. Bottom to Summit, ohne Schnickschnack und natürlich unakklimatisiert. Wie der Kopf so leicht überlistet werden kann, das fasziniert mich doch ein aufs andere mal von Neuem. Letztes Jahr war es der Mont Blanc vom Tunnelportal in Chamonix aus, der mich weit über meine Grenzen gehen liess. 3800Hm am Stück, davon 1000Hm Skitragen und 30km Wegstrecke. Ich war am Ende, körperlich, psychisch und überhaupt. Zerstört von diesem dröhnenden Kopf, der Übelkeit, dieser verflixten Höhenkrankheit, die mich zum Schluss hin auf Gipfelhöhe kaum noch etwas wahrnehmen liess, ausser dem immanenten Schwindelgefühl und dem Kopf, der explodierte...

 

Jetzt sitzen wir im Auto nach Randa, unsere Mägen gut gefüllt mit einer Pizza, der Körper schläfrig müde von einer zu kurzen Nacht und den 2200Hm auf Susten- und Gwächtenhorn. Das Täschhorn soll es morgen werden, also wieder kurze Nacht im Anmarsch. 

 

 

2:59Uhr, es ist finster, doch unsere Stirnlampen zaubern einen Hauch von Leben und Helligkeit in die Nacht. Wir starten beim Vitaparcours Parkplatz von Randa (Wildi), die Rucksäcke nur mit dem Nötigsten gepackt und trotzdem schneiden die Schulterriemen ein. 1300Hm stehen uns bevor bis die Ski zu ihrem eigentlichen Dienst antreten dürfen. Leicht verwachsene Steige in Richtung Kinhütte, hier steppt wohl kaum der Bär. Auf dem Europahöhenwegabschnitt müssen wir durch einen Tunnel an dessem Ausgang eine Dusche wartet. Tropf, tropf, das Wasser rinnt in die Skitourenschuhe, durchfeuchtet die Handschuhe, kühlt den Kopf. Das kann ja heiter werden...

 

Ab der Wasserfassung gibts endlich die ersehnte Schneedecke, schön tragend, ideal zum Aufsteigen mit Fellen. Wir beziehen ein geschickt platziertes Schuh-, Energie- und Wasserdepot und genehmigen uns die erste grössere Pause. Das Matterhorn kommt Schritt um Schritt bei unserem Anstieg aus dem Hintergrund hervor, weiss ist es, verdammt weiss für diese Jahreszeit und schön wie immer. Von diesem Berg kann man sich einfach nicht satt sehen, ebenso das Weisshorn, das genau gegenüber auf der anderen Talseite wie eine ebenmässige Pyramide in den Himmel ragt. Die Bewölkung lässt für heute noch einige Fragen offen, bei uns ist es wolkenlos, doch da drüben rund um Zermatt wabern einige dicke Wolken um die Bergspitzen. Na wehe wenn der Gipfel des Täschhorns sich ebenso in Wolken hüllen lässt!

 

Der Kingletscher ist wunderbar eingeschneit, wir können ihn mit seinen Brüchen und dem Spaltenwirrwar in einigen Bögen easy austricksen. Eine alte Spur ist bereits vorhanden, ebenso zeichnen sich Harscheisenspuren von weiteren Tourengehern vor uns ab. Dann stossen wir auf ein interessantes Paar, Alt und Jung, wobei der Ältere uns berichtet, dass er bereits 75 ist und sich eingestehen muss, dass das heute nix mehr mit dem Gipfel wird. Sein fitter jüngerer Partner (etwas jünger als wir) zieht gleichmässig weiter und wird nur kurz nach uns den Gipfel des Täschhorns erreichen. Um auf den P3812 zu gelangen, müssen wir die Ski kurz buckeln, Steigeisen wandern an die Füsse und wir stossen auf 3 weitere Bergsteiger, die wie die anderen Beiden bei der Wasserfassung biwakiert haben. Dann stehen wir auf diesem P3812 und überblicken die komplette Gipfelflanke, der Gipfel scheint greifbar nah, dabei trennen uns noch immer 700Hm. Normalerweise würde ich sagen, ok, noch 1 Stunde. Aber in dieser Höhe, nach so vielen Höhenmetern in den Beinen und die Schwierigkeiten kommen erst,...das kann noch dauern, zum Glück zeigt die Uhr erst 8:45Uhr.

 

Leider sind wir ab hier, wir haben nochmals 2 Bergsteiger überholt, die Ersten und müssen spuren. Die alte, excellente Aufstiegsspur ist zwar noch ersichtlich und grossteils gut verwendbar, doch in den steileren Passagen, wo die Abfahrtsspuren sie zerstört haben, müssen wir abwechselnd die alte Spur erneuern. Und im griesigen Schnee mit Deckel kostet das Kraft. Der grosse Serac, der fast die gesamte Flanke durchzieht, kommt uns näher und näher und wir passieren ihn am rechten Rand ziemlich exponiert, aber mit schönem Blick aufs Matterhorn. Eine richtige Eiswand, überhängend. Hier könnte man Eiskletterfotos machen, Titelbilder die um die Welt gehen. Wir nutzen das Plätzchen unter dem Seracende um die Steigeisen nochmals zu montieren und die Ski zu verstauen. Eine steile Schneewand bringt uns nach oben und macht den Weg frei für die letzte Etappe zum Gipfel.

 

Er scheint nun in der Tat zum Greifen nahe. Die Sonne scheint uns zum ersten Mal an diesem Tag ins Gesicht. Wow, das beflügelt. Doch bereits nach wenigen Schritten Spurarbeit sind wir wieder am Schnaufen und Prusten. Die Luft fehlt, die Luft ist raus, besonders Peter muss auf die Zähne beissen. Er war die Tage zuvor erkältet und fühlt die Höhe noch deutlicher als Harry und ich. Nachdem Harry, auf der alten Spur unterwegs, beim Sondieren mit dem Stock nur Luft spürt, (eine Längsspalte durchzieht die Flanke und ist an dieser Stelle genau unter der alten Aufstiegsspur), kehre ich das Bein und beginne weiter rechts in vielen flachen Kehren hinaufzuspuren. Ich halte mich an die alten Abfahrtsspuren ziemlich nahe des Westgrats und hoffe auf die oberste Querspur zu stossen, die leicht ansteigend bis zum Gipfelcouloir führt. Diese Querung ist dann fast die heikelste für mich als Spurende, die Gipfelflanke ist sehr steil, der Schnee von mieser Qualität. Ich muss 3-5mal pro Ski fest in den Schnee treten, um einen flachen, sicheren Tritt zu haben. 

 

Unter dem Gipfelcouloir beziehen wir dann Skidepot, denn der Bruchharsch lädt definitiv nicht zu einer Abfahrt ein. Hatten wir doch bis über den grossen Serac ideale Verhältnisse, ist jetzt Schwerstarbeit angesagt. Knie- bis hüfttief wühlt sich Harry die erste Hälfte hinauf, ich übernehme bis zum Gipfelkreuz. Das mit dem Groben, der Maulwurfsarbeit, das ist mein Métier, doch in dieser Höhe ringe ich um Luft und fluche vor mich hin, für die letzten 10m hilft nur noch Aggressivität. Dann stehen wir endlich auf dem kleinen Gipfelkopf, 8:45h haben wir gebraucht, länger als uns lieb war. Doch an solch hohen Bergen entscheiden die Verhältnisse und der Akklimatisierungszustand. Beides eher suboptimal. Nebenan lacht der Dom, 3 Bergsteiger stehen ebenso am Gipfel. Im Süden zieht der imposante Hängegletscher des Alphubels meine Blicke auf sich. Mit 4200m eigentlich ein hoher Berg, doch das Täschhorn überragt ihn dann doch nochmals fast 300m, was diesen Tiefblick weiters verstärkt.

 

2 Gipfelaspiranten stossen am Skidepot noch zu uns dazu, die anderen haben bereits weiter unten umgedreht. Mit dem Schwindelgefühl und leichten Kopfweh fällt es gar nicht so einfach sich auf die Abfahrt zu konzentrieren. Die Beine sind leer, der Akku aufgebraucht. Der Bruchharsch von der übelsten Sorte und die Steilheit beträgt 45Grad in exponiertem Gelände. Nicht unbedingt die besten Komponenten. Doch es hilft eh alles nichts, wir müssen runter, immer weiter runter, wenn die Symptome der leichten Höhenkrankheit verschwinden sollen. Also umsteigen, Garagenfahren, einen Schwung da wo es sicher möglich erscheint. Nachdem wir die steile Kinflanke hinter uns haben, lässt auch die Anspannung nach. Das Gelände ist wieder fehlerverzeihend und wir können es mehr laufen lassen. Die B-Note bleibt weiterhin katastrophal, aber wen juckts? Irgendwann wechselt der Schnee dann tatsächlich auf dem Gletscher von Bruch zu traumhaftem Sulz, immerhin 200m von den 3200m. Eine schlechte Bilanz, reduziert man die Skitour auf den Kern des Skitourengehens, die Suche nach dem guten Schnee. Aber dafür sind wir heute nicht hergekommen, Skibergsteigen steht auf er Agenda.

 

Weiter unten auf dem Gletscher stossen wir dann nochmals auf den alten Herrn mit seinem Gefährten, der uns freudig aus seinem Nähkästchen erzählt. Von Erstbefahrungen, von seinen Ideen und Plänen. Wir sind beeindruckt und ziehen den Hut. Toll, wenn man im Alter noch immer so voller Energie und Tatendrang strotzt. Das wünsche ich mir für mich auch.

 

Was dann folgt ist der übliche Überlebenskampf. Im Sumpf im Harakirimodus Skifahren, die Ski über den endlos erscheinenden Wanderweg gen Tal tragen, wobei die Skienden bei zu grossen Schritten immer wieder in die Achillessehne einschneiden oder bei zu grossen Stufen hinten über den Boden krachen, Schwitzen, Jammern, da brachte auch das Cola beim Skidepot nichts mehr. Aber das gehört eben dazu, sonst verdient das epic adventure nicht seinen Namen! Um halb Fünf hatte der Spuk dann endlich ein Ende, 13 1/2 Stunden nach Aufbruch.

 

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschaftlerin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

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Autorin Trailrunning Guidebook

 

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