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Monviso - Normalroute von Pian del Re

Sonntag. Ende Juli. Quasi "ferragosta". Es ist fast Mittag, kaum ein Durchkommen durch das Örtchen Crissolo im Valle Po, welches auf dem Weg zum hintersten Parkplatz "Pian del Re" liegt. Geduld und gute Nerven sind gefragt, wir schlängeln uns an der wartenden Schlange Autos vorbei, welche hier im Ort auf einen Parkplatz warten. Ja, von der Schweiz her kommend sind wir das gute, öffentliche Verkehrssystem gewohnt. Es verkehrt zwar auch zwischen Crissolo und Pian del Re ein Shuttlebus, doch die Italiener machen wenig Gebrauch davon. Ausserdem muss man auch erst mal ins Valle Po mit dem öV gelangen, dürfte noch mühsam sein...

 

Die schmale Bergstrasse bis auf 2000m ist überall zugeparkt, Verkehrschaos. So langsam zweifeln wir, ob wir es überhaupt noch bis ganz nach hinter schaffen oder ob unser Skyrun auf den höchsten Berg im Tale bereits vorzeitig ein Ende findet. Warum wir so spät dran sind? Nunja, am Monviso ist nicht weniger Betrieb und wir wollen ab dem Rif. Quintino Sella mehrheitlich freie Bahn haben. Warum genau an einem Sonntag? Frag den Wettergott, warum er ausgerechnet den besten Tag der ganzen Woche auf einen Sonntag legt...für heute soll es sonnig am Gipfel bleiben, was nur selten der Fall ist, da das schöne Antlitz des Monviso und seiner Trabanten meist ab Mittag von Nebelschwaden eingehüllt wird.

 

Endlich. Wir sind am Parkplatz und kaufen gleich ein Ticket zum Wucherpreis (10€/Tag, etwas Nachlass bei mehreren Tagen) für die gesamten Tage unseres Aufenthaltes hier im Valle Po.

Das übliche Prozedere beginnt: Hari kalibriert seine zwei Uhren, ich bin dann schon mal unterwegs und organisiere mich während des Laufs. Wie so oft überlege ich mir erst währenddessen, je nach Tagesverfassung und Stimmung, in welchem Modus ich die Tour angehe. Ich bin da nicht so professionell unterwegs, das hemmt mich eher, macht mir Druck. Wenn ich verhalten starte und dann in den ersten 15 Minuten den Drang spüre Gas zu geben, kommt das immer noch gut auf so langen Strecken...und so läuft es auch heute, ich beschliesse zügig mit etwas Puffer unterwegs zu sein. Etwas Puffer heisst, ich gönne mir auch Fotos zu machen, Wasser aufzufüllen, etc... Bei einem richtigen Speedversuch sollte dies alles optimiert sein. Meine Zeit von 3:13h bis zum Gipfel hat also noch leichten Spielraum ;-)

 

Der Run/Hike zur Hütte gestaltet sich einem Slalom gleich. Die Landschaft beeindruckt, so viele Bergseen. Nach der Hütte wird es ruhiger, der zähe Anstieg auf dem Normalweg zum Monviso beginnt. Zum Pass noch durchaus anregend entlang einer felsigen Rippe mit ein paar Kraxlpassagen, nach dem Pass offenbart sich dann das ganze Ausmass der steinigen Hölle: eine Blockfeldwüste! Puh, das zieht sich. Und dann wird das ganze Ding auch noch steil, zwei Schritte vor, einer zurück. Eine richtige Sau! Erst als ich zum Bivacco komme und danach ein Restschneefeld empor steige, gelange ich erneut in den "Kämpfermodus". Mein Terrain erhebt sich vor mir, rot-braune Felsen, welche mit unendlich vielen, gelben Markierungen versehen sind. Den Normalweg kann man fast nicht verfehlen. Es ist so ähnlich wie am Matterhorn, nur nicht exponiert und einfacher in der Wegfindung. Aber prinzipiell folgt man auch hier den abgegriffenen Felsen, steigt effizient höher, hält sich hie und da mit den Händen und macht auch mal einen leichten Kletterzug. In Summe aber eher Gehgelände. 

 

Meine Kraft schwindet und ich hadere mit dem Tempo und der Atmung, irgendwie fühle ich mich in diesem Moment zu alt für dieses Speedzeugs und rede mir ein, dass dies der letzte Speedberg in meiner "Karriere" ist. Ich bin es nicht mehr gewöhnt, in den letzten Wochen und Monaten widmete ich kaum eine Sekunde dem schnellen Fortbewegen. Der Fokus lag mehr auf ausgiebigen Bergtouren...Doch dann erspähe ich eine rote Figur am Horizont, die munter mir entgegen hüpft. Hari kommt mich motivieren und begleitet mich auf den letzten Metern zum Gipfel, er genoss bereits den prächtigen Gipfel für gute 20 Minuten alleine. Gipfelkreuz abschlagen, auf einen ebenen Felsen hinschmeissen, kräftig durchatmen. Der Brustkorb hebt und senkt sich energisch. Der Berg ist halt doch 3841m hoch, kein 4000er, aber die dünne Luft fährt auch hier unter starker Belastung massiv ein. 

 

Dann das "Erwachen", zurückfinden in die Welt, realisieren, wo man ist und was man gerade erreicht hat. Grandios! Die Aussicht ist phänomenal und es ist praktisch windstill und unheimlich warm. Weder Microcrampons, noch Pulli, noch Windjacke bedarf es heute. Ein fantastischer Tag, der zwar von einem langen Abstieg noch geprägt werden wird, schliesslich aber mit einem glasklaren Lago Fiorenza uns zu versöhnen weiss. Der Monte Viso spiegelt sich im völlig stillen Gewässer. An keinem anderen Tag in der ganzen folgenden Woche erleben wir nochmals solch einen windstillen See! Ein Geschenk zum Abschluss, ein Geschenk für die Anstrengungen und vergossenen Schweisstropfen. Monviso - du bist ein Traum von einem Berg!

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschaftlerin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

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