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Zinalrothorn über den Nordgrat

Die Nacht würde kurz werden, aber immerhin schlummern wir in kuschelige Decken eingewickelt unten in Zinal in einem feinen, kleinen Hotel. Als der Wecker dann um 2:30h läutet, ist die Vorfreude bereits zu spüren. Trotzdem mampft es sich in den noch auf Tiefschlaf eingestellten Körper nicht sonderlich gut hinein. Eine überreife Banane, ein Ananas-Yoghurt, zwei Eier. Eine merkwürdige Frühstückskombination, die wir da aus unserem Lunch-Paket vom Hotel zu Tage befördern. Die zwei Sandwich packe ich für uns für den Gipfel ein. Auf irgendwas muss man sich ja freuen können;-)

 

Start um eine Minute nach Drei mitten in der finsteren Nacht. Vom Hotel weg, welches sich zentral in der Nähe der Kirche befindet. Das Hirn ausgeschalten, der Körper macht einfach, Schritt für Schritt, das Gelände ist auch einfach, flach, Strasse, dann Schotterpiste, das Hirn darf also getrost weiterschlafen. Es ist noch immer stockdunkel, als wir mittlerweile stetig an Höhe gewinnen. Der Hüttenweg zur Mountet Hütte ist inhomogen und lang, zuerst flach, dann sau steil, dann ein Höhenweg und zum Schluss doch noch einige zeitraubende Blockfelder. So wundert es nicht, dass wir erst nach 3 Stunden und 20 Minuten im Morgengrauen ankommen. 

 

Es brennt Licht, das halbgegessene Frühstück steht noch auf den Tischen, die Stube ist warm und menschenleer. Willkommene Halbzeit für uns, zum Durchatmen, Schuhe und Shirt wechseln, Essen und die Müdigkeit abschütteln. Diese plagt uns heute mehr als üblich, wir sind es nicht gewohnt uns so lange im Dunkeln zu bewegen. Die letzte Stunde war echt zäh, Sekundenschlaf. Doch jetzt wendet sich das Blatt, beim Anstieg über die steile Moräne hinter der Hütte beginnen die höchsten Gipfel im schönsten Morgenlicht zu brennen, die "couronne impérial" aus Bishorn, Weisshorn, Zinalrothorn, Ober Gabelhorn und Dent Blanche entfaltet allmählich ihren ganzen Glanz.

 

Noch können wir die wärmenden Sonnenstrahlen nur erahnen, wir befinden uns noch immer auf der Schattenseite, ein eisiges Lüftchen weht 

uns entgegen, wie so oft auf den Gletschern bevor die Sonne den Takt angibt. Immerhin ist der Schnee gut gefroren, doch wir kämpfen beide mit Sekundenschlaf. Gletscherhatscher, langweilig und zermürbend. Wie herrlich, als wir den felsigen Grat zur Schulter betreten und mit den Steigeisen an den Füssen exakt die Schuhe platzieren müssen. Präzision erfordert Aufmerksamkeit und vertreibt diesen Müdigkeits-Blues, der heute wie ein Fluch über unserem Projekt liegt. Die l'Epaule du Rothorn ist erreicht, auf der Schulter empfangen uns erstmals heilige Sonnenstrahlen im Gesicht, die die Gesamtunternehmung fortan auf die Sonnenseite des Lebens stellen. Raus aus der Darkside, hinein ins erquickende Leben. Weg mit den Steigeisen, erster hübscher Fels will mit Schuhen ertastet und nicht mit Metall malträtiert werden. 

 

Hinter uns die Schönheit Weisshorn, vor uns ein sich zusehends verjüngender, goldgelber Felsgrat. Wir machen Meter, nehmen Fahrt auf, turnen gekonnt über Blöcke und griffige Felspassagen, bis wir abrupt ausgebremst werden. Stau. Aber so richtig. Es geht nicht mehr vor, noch zurück. Seile kreuzen. Wir sind auf die Seilschaften, welche heute zur gleichen Zeit wie wir, allerdings auf der Hütte gestartet sind, aufgelaufen. Und von oben kommen bereits die ersten Überschreitungsseilschaften hinab. Geduld ist gefragt, das Aus unseres speedigen Projekts. An geeigneter Stelle schaffen wir es dann doch noch an einigen Seilschaften vorbeizukommen, bevor die Schlüsselstelle für viele, die exponierte "Messers Schneide", ein weiteres Mal Anstehen und Warten verlangt. Etliche Überholmanöver später erreichen wir den letzten langen Aufschwung, den wir nun ohne Stau in unserer gewohnten Geschwindigkeit empor steigen dürfen. Ein wunderschöner Felsgrat geht zu Ende, das Gipfelkreuz in Sicht und mit ihm die Freude auf die schweren Mitbringsel: die fetten Hotel Sandwich! Ein kräftiger Biss nach gut 8 Stunden seit unserem interessanten Frühstück. Eine Wohltat.

 

Dass das Zinalrothorn ein beliebter Berg ist, liegt auf der Hand. 4000m und von allen Seiten erfordert es Kletterkünste zumindest in den Ansätzen. Fester Fels, orange-gelb-rot, Augenschmaus und Kletterfreude. Doch der Normalweg von der Rothornhütte hat es in sich. Binerplatte, Gabel und Couloir und ganz unten noch das Wasserloch. Schlüsselstellen, die besonders im Abstieg bei grossem Andrang zeitraubend und besonders das Couloir auch gefährlich sein können. Steinschlag ist garantiert, besonders wenn noch Schneereste im Couloir liegen, und man tut gut daran möglichst schnell und alleine diese lange Passage hinter sich zu bringen. An den Begrenzungsfelsen gibt es genügend Abseilstellen, doch aufgrund der wenig ausgeprägten Steilheit gewinnt der zügige Abkletterer bzw. eine Mischung aus hintersichertem Abklettern und Abrutschen am Seil für den Seilzweiten.

 

Wir sind froh, als wir diesen Teil hinter uns lassen können. Aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit ist der Restschnee im Abstieg schön weich und wir müssen keine Steigeisen mehr montieren. Halb rutschend verlieren wir zügig an Höhe und können uns an dem wunderbaren Ausblick ergötzen. Wären da nicht meine schmerzenden Füsse, die mich jede Sekunde daran erinnern, dass ein Wechsel auf Trailrunningschuhe unausweichlich und ziemlich gleich erfolgen muss! Ein letzter Stau am Wasserloch Abseiler, den ich in diesem Fall aber als willkommene Rast für meine Füsse begrüsse. Mit unserem kurzen Strick müssen wir zweimal abseilen, ein ganz schönes Drecksloch anstatt Wasserloch. Danach taumelt es sich zur Rothornhütte über Schneefelder zum Abrutschen, instabilem Blockwerk und schliesslich einem Steinmännchen Pfad auf die Hüttenterrasse der neuen Hütte. Cola Pause, Schuh- und Kleidungswechsel. Ein letzter Check des Regenradars. Wenn wir uns sputen, dürften wir trockenen Fusses Zermatt erreichen. Und sonst gibt es ja noch Zwischenstopps mit dem Berggasthaus Trift und Edelweiss. Also nichts wie los mit den Gummibeinen und dem nun schweren Rucksack, prall gefüllt mit Seil, Bergschuhen und Berghose.

 

Und das Ende der Geschichte? Der Regen prasselte erst gegen die Fensterscheibe im Zug, gut 13 Stunden nach unserem Aufbruch.

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschafterin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

Online-Autorin SAC Tourenportal

Autorin Trailrunning Guidebook

 

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