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Salbit Duo: Ostgrat und Südgrat

Die Granitwelt des Salbitschijen hat für mich eine besondere Bedeutung. An ihm sehe ich deutlich meinen Entwicklungsprozess über die vergangenen 20 Jahre. War zu Anfang meiner "Kletterkarriere" der Südgrat und Ostgrat jeweils eine ganz eigene, grosse Hausnummer, die viel Engagement und Mut erforderte, brauchte der Südgrat vor gut 12 Jahren nur noch die halbe Dosis Einsatz. Damals wurde er zum Sinnbild für grosse Touren für mich, die ich als Tagestour im Stand war anzugehen. Heute, unzählige Kletter- und Bergtouren später, rückt der Süd- und Ostgrat einmal mehr in den Fokus. Doch diesmal als Tagestour mit Kombi beider Grate. Die Idee dafür kam von Hari, der wie so oft Ideentreiber in unserer Seilschaft ist. Mir fehlt es meist etwas an Selbstvertrauen in solch ein Projekt, als dass es aus meiner Feder stammen könnte.

 

Gut eine Woche vorher erlebten wir am Pizzo Badile und dessen Nordkante, wie flüssig wir als Seilschaft Meter im festen Fels abspulen können. Dies in den beiden Salbit Graten, die nominell nicht bedeutend schwieriger sind, aber von der Kletterei und Bewertung dann doch höhere Kletterkünste erfordern, ähnlich umzusetzen, war unser Ziel des Tages. Von Hütte zu Hütte mit Tempo.

 

Um 6:30h, als es gerade hell genug war um ohne Stirnlampe unterwegs zu sein, begann also unser Unterfangen. Frische 6 Grad am Parkplatz deuteten auf einen ersten herbstlich anmutenden Spätsommertag hin. Während hinten im Talkessel rund um den Dammastock die Rippen und Grate weiss verschneit waren, hofften wir im Salbit aufgrund seiner Höhenlage unter 3000m einen schneefreien Tag zu erwischen. Weiches Morgenlicht, klare Luft, aber Eiseskälte. Wir sind froh, als wir trotz des steilen Aufstiegs die Sonne erreichen. Auf der Hütte machen wir uns parat für unsere Mission. Klettergurt, Express, Seil, Helm und einen Trailrucksack mit Pulli, Getränk und Riegel. Mehr gibts heute nicht, wir wollen möglichst leicht unterwegs sein um unser Zeitziel von 8h für den Roundtrip einhalten zu können.

 

Die Uhr tickt, wir spurten los, schweisstreibend zum Einstieg des Ostgrats, der sich hinter einem kleinen Turm befindet. Ein Bolt markiert den Einstieg, wir seilen an, wechseln das Schuhwerk. Zunächst leicht links ansteigend gehts auf den Grat, der noch etwas Gras und Erde eingelagert hat. Gerade richtig für uns zum Einklettern und Eingrooven am gestreckten Seil. Bis zum ersten steilen Aufschwung steige ich durch und nehme Hari schliesslich nach. An ihn geht die erste, richtige Kletterseillänge, die zwar gut gesichert, aber nicht ganz trivial ein paar wacklige Moves parat hält. Wir wechseln die Führung und ich laufe wieder das Seil aus und weiter, bis uns ein Abseiler stoppt. In diesem Stil geht es aufwärts, die schwierigeren Seillängen sichern wir regulär, die einfacheren klettern wir gleichzeitig. Die zweite A0-Stelle dann wirklich beherzt kräftig. Ich muss im Nachstieg etwas zaubern, da mir Hari versehentlich die zweite Express mitgenommen hat. Die untere Express blockieren, etwas Kleines kurz halten, aushängen und die Express im oberen Haken einhängen, zugreifen und drüberwuchten zur nächsten Express. Ab hier gehts wieder flüssig in freier Kletterei und ich bin erleichtert eine Lösung gefunden zu haben.

 

In Summe bietet der Ostgrat nette Kletterei, spielt aber in der Liga des Südgrats bei Weitem nicht mit. Zu inhomogen, zu viel Gehgelände, nicht immer super solider Fels. Und er endet nicht ganz oben, sondern mündet in den Abstiegsweg des Salbitschijen, den wir so dann auch direkt einschlagen. Es liegt noch etwas Schnee auf den losen Felsplatten und Blöcken. Behutsam steigen wir entlang der Markierungen hinunter, bis die Steigspuren auf der rechten Couloirbegrenzung ein flotteres Vorankommen ermöglichen. Unterm Ausläufer des direkten Ostgrats hindurch, die grosse Geröll- und Wiesenhalde traversierend, erreichen wir den Weg, welcher zum Südgrat führt. Schliesslich seilen wir bei der Tafel (Südgrat, 5a) an, welche den Einstieg symbolisiert. 5a, dass ich nicht lache. Mit 5a nach heutigen Massstäben ist nicht so viel am Südgrat zu holen. Reserven nach oben empfehlen sich!

 

Der Start der Route ist noch grasdurchwachsen, auf den Tritten und Griffen liegt Sand, dafür ist die Kletterei auch noch nicht sonderlich schwierig. Erst im oberen Teil des ersten Turms muss kräftig zugepackt werden. Nach dem Abseiler folgt der nächste Aufschwung und bereits weiter oben zeichnen sich die Menschentrauben rund um die Schlüsselseillänge ab. "Krass, jetzt hatten die doch so viel Vorsprung", schiesst es durch unsere Köpfe. Doch im gleichen Moment fällt mir auch wieder ein, dass ich vor 20 Jahren ähnlich Mühe hatte. Die Relationen verschieben sich mit der Zeit und den fortgeschrittenen Fähigkeiten. Was allerdings geblieben ist, der Respekt vor der Kletterei im Salbit. Es gibt einen guten Grund, warum ich noch immer nicht den Westgrat ins Visier genommen habe. Und auch heute empfinde ich den Südgrat alles andere als pups-einfach. Wir sichern am grossen Aufschwung Seillänge um Seillänge, nix mit Klettern am laufenden Seil. Dafür ist die Kletterei zu ungewohnt, zu fordernd, zu kraftig. Im oberen Teil stossen wir auf die Seilschaften des Tages. Eine macht gerade Pause, wir flitzen vorbei. Beim Plattenturm-Abseiler dann ein grösseres Seil- und Seilschaftsknäul. Aber auch hier schaffen wir es zu überholen. Ich mag es überhaupt nicht andere Seilschaften zu überholen, ich entschuldige mich einem "sorry, tut mir leid, aber wir haben ein grösseres Projekt". Jeder war mal so, musste klein anfangen, die Seilschaftsabläufe liefen wenig flowig, das Kletterkönnen war noch in seinen Anfängen, die Angst vor der Exposition und Ausgesetztheit verzögerte sämtliche Handlungen. Ich habe also Verständnis, auch wenn ich gleichzeitig ungeduldig bin.

 

Den letzten Abseiler umgehen wir mit einem Abklettermanöver, wieder zwei Seilschaften im Sack. Es folgen die letzten drei Längen, alle am gestreckten Seil, gleichzeitig, während wir drei weitere Seilschaften überholen können. Ein kurzer Fussmarsch und durchs Loch hindurch zur Gipfelnadel. Die steht für heute noch fix auf dem Programm. Noch nie war ich oben, immer aus zeitlichen Gründen. Imposant und furchteinflössend, wenn man niemanden hochklettern sieht, denn auf diesen 10m gibt es keine Absicherung. Ein Schlaghaken ziemlich weit unten, der eher symbolischen Charakter trägt, danach muss man sich entscheiden: stop or go bis zum Top. Was unmöglich aussah, löste sich dann bei näherer Betrachtung in vergnügsame Kletterei auf, lediglich ein hoher Ansteiger direkt auf die exponierte Kante, und schon wägt man sich am höchsten Punkt des Salbitschijen. Natürlich wollte ich so ein klassisch, heroisches Gipfelfoto von mir mit erhobenen Händen auf der Nadel für die Geschichtsbücher. Nach 20 Jahren durfte auch ich endlich einmal ganz oben stehen....

 

Den Abstieg kannten wir bereits. Er wird mit fortgeschrittener Tages- und Kletterzeit nicht weniger steil und oberschenkelfressend. Zum Schluss der kurze Gegenanstieg zur Hütte, die Uhr stoppt, bald 10 Stunden für unseren Loop. Potz! Deutlich über unserer Zielzeit. Ja, der Salbit ist und bleibt fordernd. Für alle. Eine gute Portion Respekt im Gepäck schadet hier oben definitiv nicht;-)

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Patricia Neuhauser

 

Sportwissenschafterin, MSc

Präsidentin Verein trail-maniacs

Online-Autorin SAC Tourenportal

Autorin Trailrunning Guidebook

 

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